Kitas brauchen Fachkräfte aber woher nehmen?

| Kategorie: Kategorie: Meinung | 3 Minute(n) Lesezeit

Elke Schanzenbächer ist vom Fach – und sie verantwortet als Beigeordnete in ihrer Verbandsgemeinde Freinsheim auch die Kindertagesstätten. Wie blickt die Expertin und Praktikerin auf den Fachkräftemangel in den Kitas im Land? Und was muss getan werden, um die Bedingungen für Erzieherinnen und Erzieher zu verbessern? Wir haben sie um ihre Einschätzung gebeten.

„Seit Jahren wissen wir aus einschlägigen Studien renommierter Frühpädagogen, dass aufgrund der zahlenmäßigen Annahmen ein Fachkräftemangel im Bereich der Kindertagesstätten eintreten wird. Bedingt durch den starken Ausbau der Anzahl der Plätze, des steigenden zeitlichen Betreuungsumfangs und der Ausweitung auf jüngere Altersgruppen. Gleichzeitig erfolgte dies im Bewusstsein um eine höhere Altersstruktur und größeren Fluktuation im Bereich des Berufsfeldes der Kindertagesstätten.

Konsequenterweise wäre es erforderlich gewesen, eine ausreichend große Zahl an qualitativ hochwertigen Ausbildungsplätzen zu schaffen und die Attraktivität des Berufes zu steigern. Durchlässigkeit im beruflichen System, Karrierechancen und gute Arbeitsbedingungen sind neben finanziellen Aspekten das größte Anreizsystem, um Interessent/innen für das Berufsfeld zu akquirieren.

Die Akademisierung im Bereich der Frühpädagogik, die auf die o.g. Aspekte unter anderem eine entsprechende Antwort geboten hätte, wurde nicht im notwendigen Maß forciert. In diese Situation hinein wurde das Kita-Gesetz realisiert.

Elke Schanzenbächer

Keine Frage: Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die sieben Stunden durchgängige Betreuung ein grundlegender und entscheidender Faktor. Hier haben wir seit Jahren definitiv einen deutlich steigenden/weitergehenden Bedarf.

Gleichwohl muss eben auch die faktische Realität in der Umsetzung Beachtung finden. Der Rechtsanspruch kann nur dann umgesetzt werden, wenn hierfür Personal zur Verfügung steht.

Die Idee, auf dem o.g. Hintergrund neue Ausbildungsformen zu generieren, Quereinsteiger zu qualifizieren und multiprofessionelle Teams zu bilden, ist grundsätzlich zu begrüßen, doch auch hier müssen die Rahmenbedingungen „stimmen“, wie z.B. Qualifizierungsmöglichkeiten oder zeitliche Ressourcen, um diese Veränderung der Teams zu begleiten. Träger suchen derzeit vielfach vergeblich Personal, weil der Markt „leer“ ist.

Erzieher/-innen in den Einrichtungen haben eine hohe Belastungsquote, um den Anforderungen gerecht werden zu können, der Alltag in den Einrichtungen ist sehr „verdichtet“. Der „Spiel“-Raum in den Einrichtungen fehlt. Die Realität muss jedoch Beachtung finden!

„Es muss klar kommuniziert werden, dass die Wirklichkeit nicht die des „Hochglanz-Flyers“ ist.“

Notwendig ist meines Erachtens:

  • Eine deutlich stärkere „direkte“ Finanzierung des Systems: Klares Bekenntnis, dass wir auf Landesebene (und auch auf Bundesebene) (noch) mehr Geld / s. Ausgaben BIP für die frühkindliche Bildung und Betreuung benötigen.
  • Unterstützung von Kita-Trägerstrukturen und kommunalen Finanzstrukturen (Ehrenamtliche können diese Aufgabe kaum noch erfüllen; Kommunen die Finanzen für z.B. Bau von Einrichtungen auf Jahrzehnte gesehen kaum stemmen…)
  • Der Ausbau der Kindertagespflege muss nochmals neu beleuchtet und evtl. anders strukturiert werden (Ausbau der Tagespflege, u.U. auch Großtagespflege – zumindest übergangsweise …)

Für das Praxisfeld: „Pädagogische Fachkraft:

  • Deputate für mittelbare und unmittelbare Arbeit klar definieren (s. Deputate ähnlich Lehramt – auch für pädagogisches Personal in Einrichtungen
  • Im Personalsockel definitiv folgende Faktoren einberechnen: Schließzeiten, Fortbildungszeiten, Durchschnittsausfallzeiten von Mitarbeiterinnen; derzeit von Kita zu Kita „unterschiedlich, Personalgrundsockel ist jedoch gleich
  • Qualifizierungsmaßnahmen ermöglichen/verbindlich regeln.
  • Erzieher/Kind – Schlüssel entsprechend wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen

Die Anregungen benötigen sicherlich zunächst „Mehrpersonal“, das aktuell nicht zur Verfügung steht. Aber: Ein weiteres „Down-Grading“ in Ausbildung und Praxis in den Einrichtungen wird die Spirale jedoch langfristig eher in die falsche Richtung drehen.

Wir brauchen Bildung- und Betreuung außerhalb der Familie:

  • als Voraussetzung für die Familien der Berufstätigkeit nachgehen zu können, aber vor allem auch als Entwicklungschancen für Kinder.

Aus diesem Grund muss Politik auch darauf hinwirken, dass alle Akteure sich dieser Verantwortung bewusst sind. D.h. Politik auf allen Ebenen und der Wirtschaftssektor (Arbeitgeber) müsste m.E. auch nochmals „Familien(aus)zeiten“ in den Blick nehmen, Gestaltung von (Lebens-)Arbeitszeiten, und …und…und…

Wir müssen die „Medaille“ von (mindestens) zwei Seiten betrachten: Nicht nur von Seiten der Einrichtungen, sondern auch im Kontext, wie Familien mit Kindern den Alltag „leben“/organisieren können. Wie brauchen in dem Feld der Bildung und Betreuung fachlich hoch qualifiziertes Personal, das mit Freude (und nicht nur mit „Herzblut“) den Beruf ausüben kann.

Und auf jeden Fall brauchen wir als Gesellschaft Zeit für unsere Kinder.“

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