„Made in Germany“ in Gefahr

| Kategorie: Kategorie: Aus der Partei | 4 Minute(n) Lesezeit
Julia Klöckner MdB ist wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Es ist eine erschreckende Zahl: Mehr 1,7 Millionen (sic!) Stellen sind in Deutschland zurzeit unbesetzt! Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Für das Land der Bildung, der Forscher und Entwickler, der Qualitätsarbeit? Allerorten fehlen die Fachkräfte, der aktuelle Personalnotstand in Pflege, Gastronomie und bei Bahn und Luftverkehr – wir alle spüren die Auswirkungen immer deutlicher. Was ist zu tun? Darüber haben wir mit Julia Klöckner MdB, der wirtschaftspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gesprochen.

Frau Klöckner, wo sind denn die Arbeitskräfte alle hin?

Wir haben in Deutschland einen akuten Arbeits- und Fachkräftemangel. Mehr als 50 Prozent der Unternehmen macht das große Sorgen. Viele offene Stellen, gerade im Dienstleistungsbereich, sind kurzfristig nicht zu besetzen. Der aktuelle Personalnotstand im Luftverkehr ist nur die Spitze des Eisbergs und macht das besonders deutlich. Der Arbeitsmarkt steht durch den demographischen Wandel unter Druck, Corona hat ihn in Bewegung gebracht: Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ob beschäftigt in Hotellerie und Gastronomie, der Veranstaltungswirtschaft oder im Luftverkehr, wurden erst einmal nicht mehr gebraucht. Diese haben sich umgeschaut und schnell bessere Jobs gefunden. Allein an deutschen Flughäfen fehlen derzeit rd. 7200 Arbeits- und Fachkräfte. Ein Problem, das vielleicht zu wenig im Bewusstsein ist, sind die vielen Abwanderungen, gerade bei hochqualifizierten Fachkräften: Zuletzt sind rund 180.000 Deutsche pro Jahr beispielsweise in die Schweiz, die USA oder Großbritannien abgewandert, die mit attraktiven Gehältern locken. Beispiel IT-Branche: Hier kann die Hälfte aller offenen Stellen nicht besetzt werden. Fast 100.000 Stellen. Bei Innovationen und Digitalisierung sehen uns internationale Rankings nur noch knapp oder schon gar nicht mehr in den Top 10. Wir müssen uns immer wieder klar machen: Erfolg ist kein Selbstläufer, sondern hart erarbeitet. Von den vielen Millionen Arbeits- und Fachkräften und Unternehmenslenkern in unserem Land.
Deutschland steht für technologischen Fortschritt, etwa in der Automobilindustrie, bei pharmazeutischen und chemischen Erzeugnissen, bei IT oder im Maschinenbau. Für „Made in Germany“ sind wir in Europa und der Welt bekannt. Gefragt sind unsere Produkte und Dienstleistungen, aber auch unsere Arbeits- und Fachkräfte. Wir müssen alles tun, um sie zu halten. Ohne sie kann es keine erfolgreiche Wirtschaft geben.

„Die Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften muss besser und schneller werden! Die Bunderegierung hat aber scheinbar die Ruhe weg.“

Julia Klöckner MdB

Das Problem geht also weit über die langen Schlangen an Flughäfen oder die Menschenmassen, die zurzeit immer wieder auf Bahnsteigen ausharren, hinaus?

Diese Bilder sind weiß Gott kein Aushängeschild für eine führende Industrienation, und die Situation ist für die betroffenen Reisenden ärgerlich. Die anstehende Sommerreisezeit wird erst recht zum Stresstest werden. Die Bundesregierung muss jetzt endlich umsetzen, was sie angekündigt hat. Insbesondere frage ich mich, wo die so dringend benötigten 2000 Fachkräfte u.a. aus der Türkei, die von der Bundesregierung bereits für Juli angekündigt sind, bleiben.
Und ja, der aktuell so auffällige Mangel ist keine vorübergehende Erscheinung! Das muss man ganz klar sagen – und vor allem dringend gegensteuern. Unsere Unternehmen und Beschäftigten arbeiten international, allein zehntausende deutsche Handwerksbetriebe sind grenzüberschreitend tätig. Gerade jetzt ist kluge Wirtschaftspolitik gefragt. Da reichen Fotorunden im Kanzleramt und das Beschreiben der Situation eben nicht aus. Jetzt geht es um bessere Rahmenbedingungen für wettbewerbsfähiges Wirtschaften in Krisenzeiten. Die Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften muss besser und schneller werden! Die Bunderegierung hat aber scheinbar die Ruhe weg. Wir als Union haben in der vergangenen Legislatur das Fachkräftethema zu einem zentralen Thema gemacht. Die aktuelle Bundesregierung braucht erst ein Reisechaos, um zu erkennen, wie akut der Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland ist. Im Übrigen: Unseren aktuellen Antrag mit Maßnahmen gegen Reisechaos und Fachkräftemangel hat die Ampel abgelehnt.

Was muss aus Ihrer Sicht getan werden?

Das Potenzial an Arbeitskräften in Deutschland wird weiter schwinden, Stichwort demografischer Wandel. Die Bundesregierung aber tut so, als sei alles mit der Urlaubszeit im Herbst dann vorbei – unverantwortlich! Um den Fachkräftemangel wirksam anzugehen, kommt den Arbeitsagenturen und Jobcenter eine zentrale Rolle zu. Sie müssen die Unternehmen bei der Einstellung von Personal stärker unterstützen. Und gerade jetzt – zur Unzeit – hebelt die Ampel das Prinzip „Fordern und Fördern“ bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende aus. Jetzt fließen staatliche Hilfen praktisch sanktionslos. Zudem sind viele Beschäftigte noch immer in Kurzarbeit. Gut gemeinte Leistungen tragen eben doch zu einer gewissen Immobilität bei. Auf dem Arbeitsmarkt lässt sich also das Problem jedenfalls kurzfristig nicht lösen. Wir müssen außerdem die berufliche Aus- und Weiterbildung wieder attraktiver machen, die Berufsorientierung individueller gestalten und den Zugang zu Berufen für Quereinsteiger und Geringqualifizierte flexibel und abschlussorientiert ermöglichen. Nicht zuletzt bleibt auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Stellschraube: Der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach der Elternzeit muss erleichtert werden, wir brauchen eine bessere Kinderbetreuung, anpassungsfähige Arbeitszeitmodelle, steuerliche Verbesserungen und wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeiten, um es den Familien einfacher zu machen.

Sie haben die große Abwanderung angesprochen. Wie sieht es bei der Zuwanderung von Fachkräften aus?

Laut Bundesagentur für Arbeit benötigt unsere Wirtschaft 400.000 Zuwanderer im Jahr, um die Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu schließen. Als Union haben wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz in der vergangenen Legislatur Maßstäbe gesetzt. Zum ersten Mal haben wir in Deutschland damit einen Rahmen für die Fachkräftegewinnung im Ausland. Wichtig ist jetzt, das Gesetz mit Leben zu füllen und dessen Spielräume umfänglich zu nutzen. Langwierige VISA-Verfahren und Probleme bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen konterkarieren die Ziele des Gesetzes.

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