„Wir brauchen einen gesellschaftlichen Aufbruch“

| Kategorie: Kategorie: Meinung | 5 Minute(n) Lesezeit

Der Ukrainekrieg hat auch zu einer Wiederbelebung der Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht geführt. Der CDU-Landesvorsitzende Christian Baldauf fordert eine gesellschaftliche Debatte mit allen Beteiligten, wie eine solche Dienstpflicht konkret aussehen kann. „Sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, prägt für ein ganzes Leben und schafft Zusammenhalt und Identifikation mit der Gesellschaft, in der man lebt“, sagt Baldauf. Lesen Sie hier seinen Meinungsbeitrag zum Thema.

„Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt für Europa und Deutschland einen historischen Einschnitt dar. Bestürzt blicken wir auf die schrecklichen Bilder aus dem Osten unseres Kontinents: auf Panzerverbände, die mit brutaler Gewalt in ein friedliches Nachbarland einfallen, auf alte Menschen, Frauen und Kinder, die in Kellern und U-Bahn-Stationen Schutz suchen vor russischer Artillerie und auf die unzähligen Opfer dieser durch nichts zu rechtfertigenden russischen Aggression. Die tapferen Menschen in der Ukraine treten Putins Panzern mit Molotowcocktails entgegen.

Ihnen gilt unsere Solidarität. Wir werden mit offenen Herzen all denen helfen, die in dieser furchtbaren Zeit aus ihrer Heimat fliehen müssen. Das ist auch Ausdruck unseres christlichen Verständnisses von gelebter Nächstenliebe. Zugleich verspüren wir ein beklemmendes Gefühl der Ohnmacht angesichts unserer beschränkten Handlungsmöglichkeiten. Wir stehen zu den Sanktionen, die zwar spät, aber dafür in großer Einstimmigkeit beschlossen wurden. Mit großer Wucht fühlen sich viele Menschen zurückversetzt in eine Zeit, die überwunden schien. Sie fragen sich zu Recht, ob Deutschland und Europa für diese geopolitische Zäsur hinreichend gewappnet sind.

Gerade im Lichte der deutschen Geschichte sind wir überzeugt, dass Krisen nicht vorrangig militärisch, sondern vielmehr diplomatisch gelöst werden müssen. Aus diesem Grunde hat Deutschland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 gemeinsam mit zahlreichen anderen Ländern über fast acht Jahre hinweg das Gespräch mit Russland gesucht – in der Hoffnung, auf diplomatischem Wege eine Lösung zu finden. Diplomatie darf aber keine Einbahnstraße sein. Der russische Überfall auf die Ukraine zeigt, dass Gespräche nur dann einen Sinn machen, wenn auf der anderen Seite auch jemand zuhört. Die Ukraine war zu keinem Zeitpunkt eine militärische Bedrohung für Russland – genauso wenig wie es das Verteidigungsbündnis der NATO ist.

In einer zunehmend von Kriegen, Krisen und Konflikten geprägten Welt müssen wir mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen.

Die freiheitlichen Demokratien des Westens werden in der aufziehenden Systemkonkurrenz zu den autoritären Systemen dieser Welt nur dann bestehen, wenn sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in ihrer Sicherheitsarchitektur stark und zugleich gesellschaftlich resilient sind. Wenn sie zur Verteidigung der eigenen Interessen nicht nur willens, sondern auch im Stande sind.

Deutschland und Europa müssen daraus jetzt die richtigen Konsequenzen ziehen. In einer zunehmend von Kriegen, Krisen und Konflikten geprägten Welt müssen wir mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen. Wir brauchen dazu ein gesellschaftliches Umdenken – ja, einen gesellschaftlichen Aufbruch. Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland engagierte Debatten über den Veggy Day oder den Einsatz von Gendersternchen geführt und dabei die Geopolitik vernachlässigt.

Unser Staat muss wieder verteidigungsfähig werden – im Innern wie auch nach Außen. Wir begrüßen daher, dass die SPD und Bundeskanzler Scholz ihre jahrelange ideologische Blockadehaltung gegen eine auskömmliche Finanzierung der Bundeswehr aufgegeben haben. Aber: Geld allein genügt nicht, um in dieser sicherheitspolitischen Zeitenwende, in der wir uns befinden, zu bestehen Der Staat – das sind wir alle. Er kann unsere Sicherheit und unser Wohlergehen nur dann gewährleisten, wenn wir alle unseren Beitrag leisten und die Sicherheit und Freiheit unseres Landes stärker als bisher zu unserem eigenen persönlichen Anliegen machen.

Es gilt, die Bindekräfte in unserer Gesellschaft zu fördern und damit der Gesellschaft insgesamt, aber auch jeder und jedem Einzelnen von uns, Sicherheit zu geben.

Gerade die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine zeigen uns, wie wichtig Geschlossenheit und Zusammenhalt einer Nation sind. Diese noch junge Demokratie wurzelt in der Kraft der Menschen in der Ukraine, unterdrückerische Strukturen abzuschütteln und das eigene Schicksal selbst zu bestimmen. Um als Nation bestehen zu
können, wird es auch für Deutschland künftig wichtiger sein, die Identifikation mit dem Staat und seinen Werten zu stärken. Es gilt, die Bindekräfte in unserer Gesellschaft zu fördern und damit der Gesellschaft insgesamt, aber auch jeder und jedem Einzelnen von uns, Sicherheit zu geben. Es gilt aber zugleich auch, das Bewusstsein für die Bedeutung der Bundeswehr als zentrales Element der Sicherheitsarchitektur und ihre Verwurzelung in der Mitte der Gesellschaft zu stärken sowie den Beruf des Soldaten und der Soldatin aufzuwerten.

Ich spreche mich daher für eine allgemeine Dienstpflicht aus. Für einen Dienst an der Allgemeinheit, mit dem junge Männer und Frauen für die Sicherheit und Freiheit unseres Landes und den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft einstehen. Bei der Bundeswehr, als Staatsbürger in Uniform, die dem militärischen Schutz unseres Landes dienen und als Reservisten einen schnellen Personalaufwuchs in Krisenzeiten ermöglichen. Bei Feuerwehr, THW oder anderen Blaulichtorganisationen, die die Widerstandsfähigkeit unseres Landes gegen zivile Krisen und Naturkatastrophen, aber auch gegen militärische Bedrohungen stärken. Oder im sozialen Bereich wie etwa der Pflege, wo sie sich um die diejenigen kümmern, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind und so den sozialen und menschlichen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bewahren.

Notwendig ist aus meiner Sicht daher jetzt eine geordnete gesellschaftliche Debatte mit allen Beteiligten, wie eine solche Dienstpflicht konkret aussehen kann. Dabei muss es auch darum gehen, die Voraussetzungen und die Details einer solchen Dienstpflicht zu prüfen und diese rechtssicher auszugestalten. Sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, prägt für ein ganzes Leben und schafft Zusammenhalt und Identifikation mit der Gesellschaft, in der man lebt. Wenn alle jungen Menschen Zeit für die Gemeinschaft investieren, egal ob bei der Bundeswehr, bei Blaulichtorganisationen oder im sozialen Bereich, hilft das unserer Gemeinschaft und den Menschen, die in ihr leben. Zugleich schafft ein solcher Dienst Orientierung und Sinn. Diesen Gedanken für mehr Solidarität in der Gesellschaft halten wir angesichts der aktuellen Lage für äußerst wertvoll. Gerade die letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass wir wieder mehr aufeinander zugehen und Gräben überwinden müssen.

Die vergangenen Wochen haben uns deutlich vor Augen geführt: Frieden und Freiheit sind nicht selbstverständlich – auch nicht in Europa und auch nicht im 21. Jahrhundert. Sie müssen in jeder Generation aufs Neue erkämpft und verteidigt werden. Es liegt an uns, ob auch unsere Generation diese Prüfung besteht und unseren Kindern und Enkelkindern ein freiheitliches Land im Herzen eines in Frieden vereinten Europa hinterlässt.“

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