Erinnerung und Verpflichtung Gedanken zum Volkstrauertag

| Kategorie: Kategorie: Aus der Partei | 3 Minute(n) Lesezeit

Was tun wir, um immer neue Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft, Terror zu verhindern? Es ist Verantwortung und Pflicht jedes Einzelnen, den Ursachen menschlich gemachten Leidens entgegenzuwirken, sagt Wolfgang Reeder, Landesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises (EAK). Wir veröffentlichen seine Rede, die er bei einer Gedenkstunde zum Volkstrauertag am 14. November gehalten hat.

„Brauchen wir einen Tag verordneter Volkstrauer ? Mit einem Wort wie ‚Volkstrauer‘ können die Meisten wohl nichts anfangen. Tag des Gedenkens an die Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Terror – das sagt schon eher etwas, kann Bilder provozieren. Aber auch Wirkung ? Es geht um millionenfaches Sterben. Nicht ‘natürliches‘ Sterben, so schmerzhaft, so früh, so tragisch wir es erleben mögen. Sondern um durch Krieg, Gewaltherrschaft, Terror verursachtes Sterben, um menschlich verursachtes, also vermeidbares Sterben. Verursacht, also vermeidbar – das enthält unsere Pflicht zu gedenken, zu erinnern. Doch nicht nur als jährliches Sonntagsritual, nach dem wir montags in die Normalität des Alltags zurückkehren. Menschlich verursacht, also vermeidbar. Damit stellt sich die Frage: Was tun wir, so eng unser Einflussbereich auch sein mag, was tun wir, was tue ich, um immer wieder neue Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft, Terror zu verhindern ?

Nur: kann ich denn Krieg, Gewaltherrschaft, Terror verhindern ? Aber: Sind deren Ursachen so himmelweit entfernt von uns ? Kam denn millionenfacher Tod auf den Schlachtfeldern zweier Weltkriege, kam denn millionenfacher Mord an jüdischen Menschen aus dem Nichts ? Oder kamen sie aus Überlegenheitsgefühlen über Andere, über andere Orientierungen, über andere Weltanschauungen, über andere Herkünfte ? Sind entsprechende Abwehrgefühle uns, sind sie mir etwa völlig fremd ? Fragen wir uns: Achten wir genug auf Gedanken, die Worte werden können ? Achten wir genug auf Worte, die Taten werden können ? Achten wir genug auf Taten, die zu Gewalt, Mord und, ja, Krieg werden können ?

Am 4.November jährte sich die Entdeckung des NSU, der deutschen Terrorgruppe. Eine jahrelange in ihrem Zusammenhang nicht beachtete Mordserie gegen Migranten. Nur ein schrecklicher Höhepunkt des immer wieder aufflammenden Hasses gegen Menschen anderer Herkunft, heute gegen Menschen, die mit und für ihre Familien dem Krieg und dem Morden in ihrem Land entfliehen und bei uns Zuflucht suchen.

Am 9. November jährte sich die Pogromnacht, die Beginn war für den systematischen Mord jüdischer Menschen. Ich denke heute auch an die 80.000 jüdischen Deutschen, die im 1.Weltkrieg für ihr Vaterland Deutschland gekämpft haben, ungewöhnlich viele übrigens mit Tapferkeitsauszeichnungen, viele, die gefallen sind. Jede Stadt, jede Gemeinde kann uns Namen nennen. Ich nenne einen, der sich in Wort und Schrift und Tat zu seinem Vaterland Deutschland bekannt hat: Reinhold Lewin, Träger des EK II und des Ritterkreuzes des Albrechts-Ordens I.Klasse mit Schwertern. Er, seine Frau, seine Kinder wurden 1943 in deutschem Namen in Auschwitz ermordet.

Inzwischen verbreitet sich neuer Antisemitismus. Verbreitet sich Bedrohung jüdischer Deutscher, Bedrohung damit übrigens eines 1.700 Jahre alten Elements deutscher Identität. Nimmt jeder von uns wirklich aufmerksam genug wahr, wenn da leichthin etwas über ‚Juden‘, über ‚Ausländer‘ gesagt wird ? Ist uns immer der gefährliche Zusammenhang von Gedanken, Worten, Taten bewusst?

Ich verneige mich vor unseren 59 in Afghanistan gefallenen Soldaten

Am 13.Oktober gedachten wir der Soldatinnen und Soldaten des Afghanistan-Einsatzes. Akzeptieren wir, dass unsere Verantwortung gegen Krieg, Gewaltherrschaft, Terror über die Grenzen unseres Landes hinausreicht ? Ich verneige mich vor unseren 59 in Afghanistan gefallenen Soldaten, vor den verwundeten und traumatisierten Soldaten. Ich verneige mich vor der Mutter eines Gefallenen, die sagte: Ihr Sohn ist nicht umsonst gestorben. Er hat mitgewirkt, Menschen die realisierbare Vorstellung eines anderen, besseren Lebens zu geben. Die Vorstellung eines Lebens mit Menschen-, Frauenrechten, mit Bildungs-, Selbstbestimmungschancen.

Wir gedenken der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft, Terror. Wir gedenken hier an einer unserer Kirchen, an einem Ort des Bekenntnisses christlichen Glaubens. Glaubens ? Oder auch: Zweifels ? Fragen wir nicht angesichts des unendlichen Leidens in der Welt: Wie kann Gott das zulassen ? Das Leiden in der Welt ist nicht Gottes Werk. Es ist Menschenwerk. Gott zieht uns nicht an Fäden wie ein Marionettenspieler. ‚Er schuf den Menschen nach seinem Bilde‘ bedeutet: Gott hat uns Freiheit gegeben, hat uns als freie Wesen geschaffen, mit der Fähigkeit, Gut und Böse zu erkennen, zwischen Gut und Böse zu entscheiden. Krieg, Gewaltherrschaft, Terror sind Ausdruck menschlicher Abkehr von Gott. Der, das wissen wir, ein mitleidender Gott ist, sich offenbarend im Leiden und Sterben von Jesus Christus am Kreuz.

Ursachen Menschen-gemachten Leidens, soweit wir es vermögen, entgegen zu wirken, ist unsere, ist meine Verantwortung. An diese Verantwortung, an diese Pflicht zu erinnern, ist heute Sinn dieses Tages, den wir Volkstrauertag nennen.“

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