Der goldene Boden des Handwerks

| Kategorie: Kategorie: Interview | 4 Minute(n) Lesezeit

Corona hat den Fachkräftemangel im Handwerk verschärft. Johannes Lauer, Dachdecker-Landesinnungsmeister, sagt: Für eine nachhaltige Fachkräfteversorgung braucht es mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung und eine Gleichwertigkeit mit der akademischen Bildung. Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr Lauer, die Coronazahlen ziehen an. Welche Auswirkungen auf das Handwerk haben die hohen Infektionszahlen?

Die Corona-Pandemie stellt einige Gewissheiten grundsätzlich in Frage. Viele Menschen und darunter sicherlich auch viele Handwerker fragen sich in diesen Tagen besorgt: Hat mein Betrieb eine Zukunft? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Was macht diese Pandemie mit unserem Land? Schaffen wir das – gesellschaftlich, wirtschaftlich und finanziell? Das Handwerk hat nicht unwesentlich mit dazu beigetragen, dass Deutschland konjunkturell vergleichsweise gut durch die bisherige Corona-Zeit gekommen ist. Doch der zunehmende bürokratische Aufwand ist für viele Handwerksbetriebe – bei allen sonstigen Anforderungen im Bereich des pandemiebedingten Gesundheitsschutzes – enorm hoch. Kürzlich wurde im Bundestag und im Bundesrat die Änderung des Infektionsschutzgesetzes mehrheitlich beschlossen. Danach dürfen Arbeitgeber und Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte nicht ausgeschlossen werden können, nur betreten, wenn sie geimpft, genesen oder getestet sind und den entsprechenden Nachweis mit sich führen, zur Kontrolle verfügbar halten oder bei dem Arbeitgeber hinterlegt haben. Dem Betrieb obliegt die Pflicht der angemessenen Dokumentation. Natürlich hat der Gesundheitsschutz oberste Priorität. Aber gerade das Handwerk braucht jetzt eine Politik, die unsere Betriebe, die Beschäftigten und die Auszubildenden in dieser schwierigen Phase unterstützt und nicht noch zusätzliche Aufgaben auf die Betriebe abwälzt.

Wie ist die Auftragslage in den Betrieben?

Die Auftragslage ist in weiten Teilen des Handwerks auf einem weiterhin hohen und stabilen Niveau. Aufgrund verschiedener Risikofaktoren etwa im Bereich der privaten Kaufkraftentwicklung durch stark gestiegene Energiepreise und eine nicht zu unterschätzende Inflationsrate oder durch die noch nicht vollends überstandene Material- und Preiskrise und nicht zuletzt durch den anhaltenden Fachkräftemangel ist es allerdings mehr als fraglich, ob die Auftragslage auch im nächsten Jahr bzw. in den nächsten Jahren so unvermindert gut bestehen bleiben wird.

Erfreulicherweise haben gerade im Handwerk viele Betriebe trotz hoher Belastungen und Einschränkungen an der Ausbildung festgehalten und jungen Menschen eine Perspektive geboten.

Hat sich der Fachkräftemangel in der Coronazeit noch verschärft?

Die Corona-Pandemie hat die Ausbildungssituation in Deutschland ganz ohne jeden Zweifel beeinträchtigt. Erfreulicherweise haben gerade im Handwerk viele Betriebe trotz hoher Belastungen und Einschränkungen an der Ausbildung festgehalten und jungen Menschen eine Perspektive geboten. Das Ausbildungsengagement des Handwerks und seiner Betriebe muss stärker gewürdigt und die Ausbildungsstrukturen fair und angemessen finanziert werden. Für eine nachhaltige Fachkräfteversorgung braucht es zudem mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung und eine Gleichwertigkeit mit der akademischen Bildung. Auch eine gezielte und qualifizierte Fachkräfteeinwanderungspolitik aus dem europäischen Ausland muss verstärkt angegangen werden.

Können Sie Zahlen zu den besetzten Lehrstellen in Rheinland-Pfalz nennen?

Als Landesinnungsmeister des rheinland-pfälzischen Dachdeckerhandwerks kann ich berichten, dass wir im Dachdeckerhandwerk in den vergangenen vier Jahren durchweg positive Ausbildungszahlen in ganz Rheinland-Pfalz zu verzeichnen haben. Gemessen an der Corona-Situation, die in vielen anderen Branchen – etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe – zu rückläufigen Ausbildungszahlen geführt hat, ist dies eine erfreuliche Entwicklung. Sie zeigt, dass das Handwerk – im speziellen das Dachdeckerhandwerk – doch bei einigen jungen Menschen als Stabilitätsanker in schwierigen Zeiten wahrgenommen wird. Hieran gilt es natürlich auch in der Zukunft anzuknüpfen und noch stärker als bisher deutlich zu machen, dass das Handwerk goldenen Boden hat.

Was kann, was muss die Politik tun, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Für eine zukunftsorientierte Ausgestaltung der beruflichen Bildung zur Sicherung unserer Wirtschaftskraft gilt es, die Attraktivität der Höheren Berufsbildung auszubauen, die Digitalisierung der Berufsbildungsinfrastruktur in den Bildungszentren des Handwerks zu fördern und die Ausbildungspartner zu entlasten. Klein- und Kleinstbetriebe im Handwerk sind dabei als Träger der dualen Ausbildung in den Fokus politischen Handelns zu rücken und in ihrer Ausbildungsleistung zu unterstützen.

Die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist eine der zentralen wirtschafts- und bildungspolitischen Herausforderungen unserer Zeit.

Was fordern Sie von der Bildungspolitik?

Die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist eine der zentralen wirtschafts- und bildungspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Junge, talentierte Menschen entscheiden sich noch zu selten für eine solide Ausbildung im Handwerk. Derzeit wird noch allzu oft ein falsches Image von der dualen Ausbildung gezeichnet. Viele Schulen verstehen sich nahezu ausschließlich als Vorbereitung auf eine akademische Ausbildung. Unbestritten haben neben den Eltern die Lehrer einen großen Einfluss auf eine Berufswahlentscheidung von jungen Menschen und von Schülern. Es darf nicht dem Zufall überlassen werden, ob ein Lehrer – vielleicht aus persönlichen Erfahrungen und Neigungen – die Schülerinnen und Schüler über die Inhalte und Perspektiven in Handwerksberufen informiert, oder eben nicht informiert. Ich bin davon überzeugt, dass durch umfassende und zielgerichtete Berufsorientierungsmaßnahmen viele junge Menschen frühzeitig die Ausbildung finden, die wirklich zu ihnen passt. Vor diesem Hintergrund muss die Berufsorientierung an unseren Schulen einen höheren Stellenwert erhalten und vor allem nach einheitlichen und verbindlichen Standards ablaufen. Berufswahlkoordinatoren müssen entlastet und gestärkt werden. Sie sollten vor allem praxisnah und nach einheitlichen Standards in ihrer verantwortungsvollen Aufgabe der Berufsorientierung qualifiziert werden. Im Rahmen dieser Qualifikationsmaßnahmen sollten sie die Möglichkeit haben entsprechende „Praxistage“ in den Aus- und Weiterbildungseinrichtungen des Handwerks zu absolvieren.

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