Nichts dazugelernt

| Kategorie: Kategorie: Aus der Partei | 5 Minute(n) Lesezeit

Digitaler Aufbruch oder Rückfall in die analoge Steinzeit? Nach der Rückkehr der rheinland-pfälzischen Schüler in den Präsenzunterricht bleibt die Frage, welche Lehren die Ampelregierung aus 15 Monaten Pandemie gezogen hat. Wir haben mit Lehrerverbänden und Elternvertretern gesprochen, wie der Fortschritt bei der Ausrüstung mit Laptops und beim digitalen Lernen ist.

Die Corona-Pandemie habe die Schulen vor sehr große Herausforderungen gestellt und gezeigt, wo es deutlichen Nachholbedarf gebe, sagt Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Rheinland-Pfalz. „Es ist nicht zu verstehen, weshalb es immer noch an vielen Schulen kein funktionierendes und stabiles WLAN gibt. Digitale Lernangebote können nur dann gut und erfolgreich sein, wenn die Technik stimmt.“ Die Lehrerinnen und Lehrer hätten schnell dazugelernt, den digitalen Unterricht umzusetzen. „Doch ohne digitale Endgeräte geht es nicht“, erklärt Hammer. Seine Forderungen: endlich Laptops oder Ipads für alle Schüler und Lehrer. Und damit diese Geräte auch funktionierten, bräuchten die Schulen entsprechende technische Unterstützung und weitere Fortbildung für die Entwicklung geeigneter Konzepte.

Lars Lamowski macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. „In Rheinland-Pfalz ist noch kein Laptop bei irgendeinem Lehrer angekommen“, berichtet der stellvertretende Landesvorsitzende des VBE Rheinland-Pfalz und Grundschulleiter in Kirchen (Kreis Altenkirchen). „Dem Land fehlt das Konzept. Wir bräuchten Mindeststandards: Wie muss eine Schule digital ausgestattet sein, damit sie aus dem Klassenzimmer streamen kann?“ Derzeit mache jeder es so, wie er es für richtig halte. „Das nennt die Politik dann Vielfalt und es endet im Chaos“, ärgert sich der Grundschulleiter.

„Da fehlt der rote Faden“

Wichtig sei auch der Support. Über den „digitalen Hausmeister“ werde viel gesprochen, Konzepte lägen aber nicht vor. Da fehle einfach der rote Faden, sagt Lamowski. „Und die Schulträger lässt man alleine.“ Um die Defizite der jungen Menschen aufzuarbeiten, bräuchte es nun Profis, Lehrkräfte und nicht pädagogische Laien – Beispiel Sommerschule. Schließlich kritisiert Lamowski die mangelnde Ausrüstung der Klassenräume mit Raumluftfilteranlagen. In Kitas, Grundschulen und Orientierungsstufe müsse man diese installieren und Schülern ab 12 Jahren ein Impfangebot machen. „Das Land muss endlich vor die Pandemie kommen!“

CDU-Generalsekretär Jan Zimmer hat selbst zwei Kinder im schulpflichtigen Alter und die Tücken des Fernunterrichts erlebt. „Die Aussagen der Lehrerverbände und Elternvertreter bestätigen unsere Kritik“, sagt Zimmer. „Schon im Sommer vergangenen Jahres hat die Landesregierung wertvolle Zeit verstreichen lassen. Im Ankündigen ist die ‚Ampel’ Weltmeister, im Umsetzen nur Kreisklasse. Was ist, wenn – was wir nicht hoffen – doch noch eine vierte Welle über Rheinland-Pfalz schwappt? Wir können uns das digitale Schneckentempo nicht mehr leisten.“

Zimmer fordert nicht weniger als den „digitalen Masterplan“ für rheinland-pfälzische Schulen. „Endgeräte sind das eine. Stringente Konzepte das andere.“ Die SPD-geführte Landesregierung habe es versäumt, klare Zeichen zu setzen, und den Bereich Digitalisierung im Sozialministerium versteckt. Auch reichten die Angebote für Schülerinnen und Schüler, um Defizite aufzuarbeiten, nicht. „Wir brauchen dazu Lehrkräfte und wirkliche pädagogische Angebote. Es reicht nicht, etwas einzurichten und darauf das Etikett ‚Sommerschule’ zu kleben.“

„Vermeiden, dass es so läuft wie in England“

Cornelia Schwartz, Vorsitzende des Philologenverbands Rheinland-Pfalz, sagt: Die Schulen bräuchten schnelles Internet, um nicht noch einmal eine solche Phase des Fernunterrichts zu erleben. Die Maskenpflicht sollte nicht generell aufgehoben werden, sondern an die Inzidenzen gekoppelt werden. „Wir haben nach wie vor viel zu große Klassen und Kurse, wir sind nach wie vor in engen Klassenzimmern, wir haben nach wie vor keine Luftfilter. Wir möchten gerne vermeiden, dass es hier so geht wie in England, wo die Delta-Mutante sich nun trotz einer sehr viel höheren Impfquote erschreckend schnell verbreitet.“ Was die Lehrerlaptops betrifft, spricht sich Schwartz für Wahlfreiheit für die Lehrer aus – also entweder Leihgeräte des Landes oder steuerlich begünstigte eigene Geräte.

Und: „Die allerbeste und nachhaltigste Reaktion auf Corona wäre die Senkung der Klassenmesszahl auch an den weiterführenden Schulen! Wir leisten uns mittlerweile aus gutem Grund kleine Klassen an Grundschulen von im Schnitt ca. 18,5 Schülerinnen und Schülern, während an Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen zwischen ca. 25,5 und 27,5 Schülerinnen und Schülern pro Klasse sind. Gerade in der Corona-Zeit wurde uns bewusst, wie viel besser man mit kleineren Lerngruppen arbeiten kann – zumindest das hat uns der Wechselunterricht in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.“

Für Erwin Lenz, Sprecher des Regionalen Elternbeirats Koblenz (REB), ist die Digitalisierung schlicht verschlafen worden. Eigentlich, schreibt Lenz auf dem Portal „News4Teacher.de“, müsse man vom Land im Rahmen einer digitalen Bildungsstrategie einen „klar vorgegebenen Rahmen für alle Schulen in Rheinland-Pfalz erwarten, als Grundlage für die künftige digitale Unterstützung der Lehrkräfte. Auch müsste das Ministerium den Schulträgern ein IT-Anforderungskonzept für die künftige schulische Ausstattung übermitteln, da diese für deren Bereitstellung verantwortlich sind.“

Doch die Praxis, so Lenz, sehe völlig anders aus. „Schulträger haben zum Teil in Eigenregie auf Basis der Medienkonzepte ihrer zugehörigen Schulen IT-Anforderungen definiert, deren Umsetzung sie nun in nur sehr loser Abstimmung mit dem Bildungsministerium vorantreiben. Werden wir künftig, je nach Schulträger, Schulen mit einer ‚sehr guten’ und einer ‚weniger guten’ IT-Ausstattung haben, ganz unabhängig von den Voraussetzungen für deren pädagogische Nutzung? Werden wir langfristig Schulen mit unterschiedlichen technischen Unterstützungsmöglichkeiten bei dennoch identischen Leistungsanforderungen haben? Wie werden Schülerinnen und Schüler dadurch benachteiligt? Die Verantwortung, solche Probleme zu vermeiden, liegt beim Ministerium.“

Fast 9000 Eltern hatten an einer Umfrage des REB Koblenz zum Fernunterricht teilgenommen – dessen Ergebnisse Lenz im März per Brief auch der Ministerpräsidentin Dreyer und ihrem damaligen Verkehrsminister Wissing mitteilte und um Unterstützung warb. Die Busbörse des Landes fiel bei der überwältigenden Mehrheit der Eltern glatt durch. Die Befragten forderten demnach gesetzliche Änderungen bei der Schülerbeförderung –Abstandsregeln in Bus und Bahn sowie die Absenkung der Zahl der Stehplätze. 70 Prozent der Befragten sprachen sich für externe Raumluftfilteranlagen in allen Klassenräumen aus. Die Antwort dazu, die dann überraschenderweise doch vom Bildungsministerium kam: für Lenz ein Affront für alle Eltern, die sich hier engagiert hatten. Die Eltern ernstzunehmen, sähe sicherlich anders aus, meint er.

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